Seit dem 1. Januar 2021 stellen Krankenkassen die elektronische Patientenakte gemäß des neuen Patientendaten-Schutz-Gesetzes zur Verfügung. Ziel ist laut Bundesregierung, eine sichere, nutzerfreundliche und barrierefreie digitale Kommunikation zwischen Behandelnden und PatientInnen zu ermöglichen.
Zunächst können PatientInnen Befunde, Arztberichte oder auch Röntgenbilder speichern und entsprechend freigeben. Ab dem Jahr 2022 folgen dann auch der Impfausweis, der Mutterpass, das gelbe Untersuchungsheft für Kinder und das Zahnbonusheft.
Ein weiteres Feature, welches im Jahr 2022 erst verfügbar sein wird, ist die manuelle separate Freigabe von Datensätzen. So können NutzerInnen im kommenden Jahr selbst in der App entscheiden, welche Daten, wem frei gegeben werden.
Genau dieses Feature im Hinblick auf die elektronische Patientenakte verlangt Bundesdatenschutzbeauftragter Ulrich Kelber von den Krankenkassen. In einer offenen Stellungnahme warnte er vor aufsichtsrechtlichen Maßnahmen gegen Krankenkassen seitens seiner Behörde. Denn, wenn das Gesetz in seiner jetzigen Form umgesetzt wird, verstoße es gegen europäisches Datenschutzrecht (DSGVO).
Das Bundesgesundheitsministerium hingegen spricht davon, „dass der Patient Herr seiner Daten werde“. Weiter führt das Ministerium aus: „Die Nutzung der ePA ist freiwillig. Der Versicherte entscheidet, welche Daten in der ePA gespeichert und welche wieder gelöscht werden. Er entscheidet auch in jedem Einzelfall, wer auf die ePA zugreifen darf.“ Dadurch sollen z.B. doppelte Untersuchungen vermieden werden.
Problematisch aus Sicht des Datenschutzes sei, dass im ersten Jahr der ePA personenbezogene Daten offengelegt werden, obwohl dies gegen Grundprinzipien (Zweckbindung) der DSGVO verstoße, so die Landesdatenschutzbeauftrage Niedersachsen Thiel. So kann jeder Arzt und jede Ärztin des Nutzers – im Jahre 2021 – Befunde, Berichte, Bilder etc. jeder anderen Praxis einsehen. Darüber hinaus geht es hierbei nicht um Daten mit einem niedrigen Risiko für die Betroffenen, sondern um sensible Daten besonderer Kategorien i.S.d DSGVO. So können z.B. Informationen intimster Natur wie psychische Erkrankungen oder Schwangerschaftsabbrüche bei dem behandelnden Augenarzt offengelegt werden.
Weiterer Kritikpunkt auch der Datenschützer, dass es zu einer Ungleichbehandlung beim Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kommt. Bisher können nämlich nur „Nutzende von geeigneten Endgeräten wie Mobiltelefonen oder Tablets einen datenschutzrechtlich ausreichenden Zugriff auf ihre eigene ePA erhalten“.
Letztlich wird noch das Authentifizierungsverfahren für die ePA kritisiert da es keine technischen und organisatorischen Maßnahmen entsprechend der Vorgaben der DSGVO bietet. Insbesondere bei Anmeldungen ohne Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte entspreche das Authentifizierungsverfahren nicht dem aktuellen Stand der Technik.
Fazit:
Die Krankenkassen befinden sich in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seiten müssen sie ihren Versicherten die Chance einer nutzerfreundlichen und barrierefreien digitalen Kommunikation bieten. Auf der anderen Seite verstößt die durch das deutsche Gesetz vorgeschrieben Vorgehensweise gegen europäisches Datenschutzrecht, was das Risiko aufsichtsrechtlicher Maßnahmen mit sich bringt. Es ist abzuwarten, wie das Bundesgesundheitsministerium, der Bundesdatenschutzbeauftragte oder ein damit betrautes Gericht entscheiden.
Als betroffene Person ist man derzeit also nur begrenzt „Herr seiner Daten“. Es bleibt also– wie so oft – eine Abwägung zwischen den eigenen Interessen: Digitale und leichtere Kommunikation oder Datenschutz.
Jan Brinkmann
Consultant für Datenschutz
Volljurist
Mit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde das Recht des Einzelnen manifestiert, dass seine personenbezogenen Daten zu einem, zu bestimmenden, Zeitpunkt wieder gelöscht werden müssen. Unterschieden wurde in Art. 17 DSGVO zwischen unveröffentlichten Daten (Abs. 1) und veröffentlichten Daten (Abs. 2).Grundgedanke der Regelung des Art. 17 Abs. 2 DSGVO war dabei, dass Informationen über Personen nur so lange öffentlich auffindbar sein sollen, wie diese auch benötigt werden. Es war ein Versuch den Ausspruch: „Das Internet vergisst nicht“ umzukehren und dem Verantwortlichen die Pflicht aufzuerlegen, einmal veröffentlichte Daten auch wieder zu „ent-öffentlichen“.
Sowohl selbstständig veröffentlichende Verantwortliche, insbesondere (Online-)Zeitungen oder auch Verbände und Unternehmen mittels Pressemitteilungen als auch Suchmaschinenbetreiber, die lediglich bereits online vorhandene Informationen darstellen, sind in diesem Zusammenhang besonders gefordert: Wann müssen Informationen über Personen gelöscht werden, welche Informationen über Personen dürfen nicht (mehr) angezeigt werden?
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
Mit seinem jüngsten Urteil hat der BGH nun die Grenzen des Rechts auf Vergessenwerdens aufgezeigt. Im Verfahren VI ZR 405/18 ging es darum, dass ein ehemaliger Geschäftsführer eines Verbands erreichen wollte, dass ein erschienener Artikel über finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Ergebnisliste eines Internet-Suchdienstes nicht mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden sollte. Während das oberste deutsche Gericht (BGH) bislang davon ausging, dass die Schutzinteressen der betroffenen Personen regelmäßig Vorrang genießen, wies es nun darauf hin, dass bei Prüfung eines Löschverlangens zwischen den Interessen der betroffenen Personen und denen der Öffentlichkeit abgewogen werden müssen. Darüber hinaus könne sich die betroffene Person im Rahmen der Grundrechtsabwägung nicht auf nationale Vorschriften berufen, da das Datenschutzrecht abschließend Europäisch geregelt ist und damit Anwendungsvorrang genießt. Die Klage blieb hier erfolglos, da die Berichterstattung im konkreten Fall rechtmäßig war.
Im Rahmen eines weiteren Verfahrens VI Z8R 476/18 kam es gerade auf die Rechtmäßigkeit der Berichterstattung an. Hier bestritten die betroffenen Personen die Rechtmäßigkeit einer Berichterstattung und verlangten die Löschung ihrer Namen und Bilder vom beklagten Suchmaschinen-Betreiber. In diesem Fall legte der BGH dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor:
- Darf in einer vorzunehmenden Grundrechtsabwägung maßgeblich darauf abgestellt werden, dass der betroffenen Person andere Rechtsmittel (etwa eine einstweilige Verfügung gegen den Webseitenbetreiber, zu dem ein Link führt) zur Verfügung stehen?
- Muss bei einer Bildersuche der Kontext einer Berichterstattung mit berücksichtigt werden auch wenn der Kontext nicht mit angezeigt wird?
Bewertung
Durch das erste Verfahren wurde seitens des BGH der europäische Kontext der Datenschutz-Grundverordnung gestärkt. Er hat deutlich gemacht, dass Europäische Normen nur im Europäischen Wertekontext zu messen sind. Darüber hinaus hat das Gericht jedoch auch deutlich gemacht, dass bei der Kollision zwischen verschiedenen europäischen Grundrechten eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen ist, ebenso wie dies bei nationalen Grundrechten auf nationaler Ebene der Fall ist. Das Gericht ebnet damit den Weg zu einer einheitlichen Europäischen Rechts- und damit Werteordnung.
Die Entscheidung des EuGHs zu den beiden Vorabfragen darf mit Spannung erwartet werden. Insbesondere bei Bejahung der zweiten Frage wäre die Entwicklung künstlicher Intelligenz zur Feststellung eines Kontextes, in dem ein Bild veröffentlicht wird, offensichtlich stark gefordert.
C. Lürmann
Rechtsanwältin
Consultant für Datenschutz